
Herr Urbahn, Sie leiten den Bereich „Multi Asset Strategy & Research“. Was genau können wir uns darunter vorstellen?
Neben der Erstellung der Kapitalmarktpublikationen und der Durchführung des Investment Committees generiert mein Team Investment-Ideen aus der Vogelperspektive. Dazu gehören vor allem die Asset-Allokation, taktische Ansätze sowie Rohstoff-Investments. Außerdem managen wir zwei Publikumsfonds.
Hat sich Ihr Aufgabenfeld in den letzten Jahren verändert?
Definitiv, sowohl operativ als auch inhaltlich. Bei den Kapitalmarktpublikationen haben wir Prozesse zunehmend automatisiert und nutzen verstärkt Künstliche Intelligenz, etwa zum Übersetzen oder Zusammenfassen von Texten. Auch die Marktstruktur selbst hat sich geändert – nicht zuletzt wegen der zunehmenden ETF-Sparpläne und dem stärkeren Einfluss regelbasierter Anlagestrategien: Neben fundamentalen Kennzahlen sind Sentiment-, Flow- und Positionierungsanalysen heute deutlich wichtiger. Aufgrund der Zins- und makroökonomischen Volatilität spielt die sogenannte Style-Volatilität eine größere Rolle. Deshalb sind unsere Multi-Asset-Strategien breiter aufgestellt. Besonders interessant war in diesem Jahr, dass die Aktien im S&P 500 kaum miteinander korreliert waren – entscheidend war daher weniger die Aktienquote insgesamt, sondern die Auswahl der richtigen Sektoren und Anlagestile.
Wie setzen Sie diese Erkenntnisse in der Praxis um?
Neben der Fundamentalanalyse achten wir noch stärker auf Liquiditätskennzahlen, wie etwa das Geldmengenwachstum oder die Positionierungsdaten, und beziehen zunehmend auch den Optionsmarkt ein. Dieser ist seit der Coronakrise enorm gewachsen – nicht zuletzt durch den Einfluss der US-Privatanleger und ETF-Lösungen mit Optionseinsatz. Darüber hinaus haben Aktienrückkaufprogramme an Relevanz gewonnen. Letztlich geht es darum zu verstehen, wie wesentliche Anlegergruppen gerade positioniert sind – hier sind besonders extreme Positionierungen interessant – in welche Richtung sie ihre Positionen gerade ändern und ob sich Trendwenden abzeichnen könnten. Dafür ist auch die Analyse der Anlegerstimmung wichtig.
Sie sind auch im Fondsmanagement von zwei Berenberg-Fonds eingebunden. Können Sie uns diese näher vorstellen?
Zum einen verantworten wir den Berenberg Variato, einen flexiblen, benchmarkfreien Multi-Asset-Fonds mit einem Renditeziel von mehr als 4 % p.a. nach Kosten. Seit Auflage bzw. in den letzten sechs Kalenderjahren haben wir dieses Ziel fünf Mal erreicht – und das bei einer sehr guten Rendite-Risiko-Beziehung. Auch in diesem Jahr liegen wir bislang sehr gut im Rennen. Das liegt daran, dass wir im Januar schon angefangen hatten, den US-Dollar teilweise abzusichern, nachdem der Konsensus zu optimistisch für die US-Währung und die Positionierung zu einseitig geworden war. Am meisten geholfen hat jedoch, dass wir die Aktienquote durch Verkäufe und Hedging bereits vor dem „Liberation Day“ in der Spitze um mehr als 15 Prozentpunkte reduziert hatten. Den Abverkauf haben wir dann genutzt, um Aktienabsicherungen aufzulösen und Aktien wieder selektiv zu kaufen, die wir langfristig attraktiv finden. Ab Ende Mai haben wir die Aktienquote dann wieder deutlicher angehoben. Darüber hinaus hat sich unsere Portfoliokonstruktion bewährt, die sehr stark auf „wahres Multi Asset“ setzt. Entsprechend deutlich sind wir in realen Vermögensgegegenständen investiert und haben eine Allokation von mehr als 14 % in Gold, Silber sowie den entsprechenden Minenunternehmen. Zudem sind wir regional breit diversifziert und konnten so auch von der freundlichen Entwicklung in China und anderen asiatischen Ländern profitieren. Der zweite Fonds, der Berenberg Guardian, wurde im November 2023 aufgelegt. Er verfolgt das Ziel, bei fallenden Aktienmärkten eine positive Rendite zu erzielen und bei steigenden Märkten nur wenig zu verlieren. Mittlerweile haben Anleger uns über 200 Mio. Euro in dieser Strategie anvertraut, was zeigt, dass der Absicherungsansatz überzeugt. Was Anleger besonders schätzen, ist, dass der maximale Verlust bisher weniger als 2 % betragen hat, obwohl die Märkte seit Ende 2023 bis auf wenigen Ausnahmen nur eine Richtung, nach oben, kannten.
Welche Beweggründe führten zur Auflegung des Absicherungsfonds?
Seit 2022 entwickeln sich Aktien und Staatsanleihen oft in die gleiche Richtung – vor allem bedingt durch die Rückkehr der Inflation. Zusätzlich wächst die Sorge vieler Anleger über die steigende Staatsverschuldung weltweit. Früher haben Anleihen oft als Gegengewicht gewirkt, wenn Aktien gefallen sind. Dieser Puffer funktioniert heute nicht mehr so zuverlässig. Deshalb braucht es unserer Meinung nach neue Lösungen in der Portfoliokonstruktion: 1) Breitere Streuung im Portfolio, zum Beispiel mit Gold oder Rohstoffen und 2) Absicherungsstrategien mit Optionen, die in schwierigen Marktphasen Schutz bieten – so wie beim Berenberg Guardian. Wichtig ist, dass die Versicherungsprämien für die Absicherungen möglichst wenig kosten. Klassische Hedging-Strategien sind oft teuer, weil diese unabhängig vom Volatilitätsumfeld agieren und systematisch Absicherungen einkaufen. Diese Absicherungen werden dann in der Regel bis zum Ende der Laufzeit gehalten. Unser Ansatz ist flexibler: Wir investieren mehr in Absicherungen, wenn sie günstig sind, und weniger, wenn sie teuer sind. Dafür arbeiten wir mit einem festen Budget, das wir über mehrere Monate verteilen. Außerdem können wir die Absicherungen an das aktuelle Marktumfeld anpassen und nehmen bei Marktkorrekturen erzielte Gewinne aus den Absicherungen teilweise mit, damit diese nicht wieder vollständig verloren gehen, falls es – wie zuletzt oft beobachtet – zu einer schnellen Erholung („V-Erholung“) kommt. Ein weiterer Vorteil ist, dass immer mehr Fonds und ETFs Risiken bzw. Volatilität verkaufen und auf ruhige Märkte setzen. Dadurch werden die Absicherungen billiger – gleichzeitig werden Aktienmärkte anfälliger für plötzliche Schocks. Beides spielt unserer Strategie in die Karten.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen – was wird das Fondsmanagement in den nächsten Jahren am stärksten prägen?
Ich gehe davon aus, dass der Einfluss von Technologie und Künstlicher Intelligenz noch weiter zunehmen wird – sei es in der Datenanalyse, bei der Ideengenerierung oder bei Handelsentscheidungen. Fundmental dürften strukturelle Inflation, steigende Anleiherenditen, Abwertung des US-Dollars sowie die Suche nach Sachwerten und alternativen Absicherungen die prägenden Trends der nächsten Jahre sein. Diese und die geopolitische Lage werden weiterhin für deutliche Schwankungen an den Märkten sorgen. Für Fondsmanager bedeutet das, noch flexibler zu agieren, Märkte aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten und gegebenenfalls auch unkonventionelle Anlageformen einzubeziehen.
Unser Interviewgast

Ulrich Urbahn
Ulrich Urbahn arbeitet seit Oktober 2017 für Berenberg und ist zuständig für quantitative Analysen sowie die Entwicklung strategischer und taktischer Allokationsideen und ist in die Kapitalmarktkommunikation eingebunden. Er ist Mitglied des Asset Allocation Committee und Portfoliomanager von flexiblen Multi Asset Strategien. Nach seinen Diplomen in VWL und Mathematik an der Universität Heidelberg war er mehr als zehn Jahre bei der Commerzbank unter anderem als Senior-Cross-Asset-Stratege tätig. Ulrich Urbahn ist CFA-Charterholder und gehörte bei der renommierten Extel-Umfrage jahrelang den drei weltweit besten Multi-Asset-Research-Teams an.