Europa wartet auf den Aufschwung

Prof. Dr. Bernd Meyer und Team geben in der aktuellen Horizonte-Publikation einen Ausblick auf das vierte Quartal 2025.

Horizonte | Marktausblick

Volkswirtschaft

Auf den Punkt

  • Das Handelsabkommen mit den USA ebnet der Eurozone den Weg für einen Aufschwung zum Jahresende.

  • Die Stimmung in Deutschland hat sich zuletzt etwas aufgehellt. Nun ist die Regierung gefragt zu liefern.

  • Trumps Politik belastet das Wachstum und erschwert die Arbeit der US-Notenbank.

Europa: Aufschwung für das Jahresende erwartet

Nachdem das reale Bruttoinlandsprodukt der Eurozone im ersten Quartal 2025 noch um 0,6 % im Vergleich zum Vorquartal angestiegen war, wuchs die Wirtschaft im zweiten Quartal lediglich um 0,1 %. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass das stärkere Wachstum in den ersten drei Monaten des Jahres auf einem Anstieg der Exporte beruhte. Die Unternehmen wollten den drohenden US-Zöllen zuvorkommen. Im Gegenzug fielen die Ausfuhren im zweiten Quartal schwächer aus und belasteten dadurch das Bruttoinlandsprodukt.

Das im August abgeschlossene Handelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) sieht Abgaben in Höhe von 15 % auf die meisten Einfuhren aus der EU in die USA vor. Die Zölle auf US-Industriegüter sollen hingegen auf null gesenkt werden. Zudem verpflichtet sich die EU, US-Energie einzuführen und Investitionen zu tätigen. Zwar kann man das Handelsabkommen als unausgewogen kritisieren, die Alternative eines harten Handelskrieges zwischen der EU und den USA wäre jedoch weitaus schlechter gewesen – sowohl für die Wirtschaft als auch für die Geopolitik.

Das Handelsabkommen beendet die Unsicherheit und könnte nach einem voraussichtlich noch schwächeren dritten Quartal als Katalysator für einen beginnenden Aufschwung in der Eurozone im Schlussquartal dienen. Hierauf deutet auch der Einkaufsmanagerindex für die Eurozone hin, der im August den achten Monat in Folge über der Schwelle von 50 Punkten lag, welche Wachstum signalisiert. Der Arbeitsmarkt ist derweil weiterhin stabil: Die Arbeitslosenquote sank im Juli auf 6,2 % und erreichte damit einen historischen Tiefstand. Durch die geldpolitische Lockerung der EZB und das umfangreiche Fiskalpaket der deutschen Regierung ist mit zusätzlichem Rückenwind zu rechnen. Das größte Risiko für den Aufschwung geht derzeit von Frankreich aus. Dort werden die politische Instabilität und die steigenden Schulden nicht zuletzt an den Finanzmärkten zunehmend als erhebliche Gefahr betrachtet.

Die lockere EZB-Geldpolitik wirkt

Zuwachs der Hypothekenkredite gegenüber Vorjahr, in %

Hypothekenkredite von monetären Finanzinstituten der Eurozone; Wachstum gegenüber Vorjahr, in %. Zeitraum: 01.01.2015–01.07.2025
Quelle: EZB

Deutschland: Die Stimmung hat sich zuletzt etwas aufgehellt

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal stärker geschrumpft als bislang angenommen. So nahm das BIP von April bis Juni um 0,3 % im Vergleich zum Vorquartal ab. Eine erste Schätzung hatte lediglich ein Minus von 0,1 % ergeben. Ähnlich wie in der Eurozone insgesamt kam es nach den Vorzieheffekten bei den Exporten im ersten Quartal zum Rückschlag im zweiten Quartal. Insgesamt ergibt sich für die erste Jahreshälfte somit eine Stagnation. Für das dritte Quartal deuten das etwas bessere ifo-Geschäftsklima, der Anstieg der Einkaufsmanagerindizes und die zunehmenden Auftragseingänge auf ein leichtes Wachstum hin. Zum Jahresende hin wird sich dann voraussichtlich das umfangreiche Ausgabenpaket der Bundesregierung in der Realwirtschaft bemerkbar machen, sodass die Konjunktur ab dem vierten Quartal voraussichtlich etwas an Fahrt gewinnt. Der Stimmung im Land - und damit der Wirtschaft - würde es zusätzlich helfen, wenn die Regierung weniger streiten und mehr liefern würde. Die Koalition hat einiges auf den Weg gebracht, beim Abbau von Regulierungen wäre aber mehr Tempo wünschenswert. Zudem wären Signale willkommen, dass die Regierung auch echte Reformen bei Rente und Pflege in Angriff nehmen wird, um die steigenden Sozialausgaben einzudämmen. Das fehlt bisher nahezu komplett.

  • Der Stimmung in Deutschland und damit der Wirtschaft würde es helfen, wenn die Regierung weniger streiten und mehr liefern würde.

Auftragsbücher in Deutschland füllen sich so langsam wieder

Auftragsbestand im Verarbeitenden Gewerbe

Offene Aufträge, Volumenindex 2021 = 100: Kalender und saisonbereinigt, Quartalsdaten. Zeitraum: 01/2015–06/2025
Quelle: Statistisches Bundesamt

USA: Ein Hauch von Stagflation

In den vergangenen Monaten hat das Weiße Haus einige Handelsabkommen abgeschlossen und sich mit China auf eine Verlängerung der Zollpause bis zum 10. November geeinigt. Ein Abkommen wird voraussichtlich folgen. Trotz allem rechnen wir aber damit, dass der durchschnittliche US-Zoll in Zukunft bei etwa 18 % liegen wird. Das wäre etwa siebenmal so hoch wie zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit. Die hohen Zölle werden die Inflation weiter steigen lassen und die US-Konsumenten belasten. Zusätzlich konjunkturhemmend wirkt sich die restriktive Einwanderungspolitik der US-Regierung aus, welche das Arbeitsangebot deutlich einschränkt. Insgesamt scheint die Konjunkturdynamik in den USA nachzulassen, während die Preise weiter anziehen. Hinzu kommt die zunehmende Aushöhlung der Institutionen durch die US-Regierung, welche die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts USA mit der Zeit untergraben wird. Wir rechnen mit einem Rückgang des Trendwachstums in den USA von 2,0 % auf 1,5 %.

Fed in der Zwickmühle, EZB in komfortabler Lage

Die US-Notenbank (Fed) befindet sich derzeit in einer schwierigen Lage. Einerseits kühlt sich der Arbeitsmarkt in den USA ab und andererseits machen sich die gestiegenen Zölle langsam in den Preisen bemerkbar. Die Kerninflation verweilte im August bei 3,1 %. Voraussichtlich werden die gestiegenen Einfuhrabgaben die Inflation in den kommenden Monaten noch weiter vom 2-Prozentziel der Fed entfernen. Derzeit scheint der Fed die Sorge um den Arbeitsmarkt wichtiger zu sein als die Inflationsgefahr. So hat die US-Notenbank die Leitzinsspanne am 17. September um 25 Basispunkte auf 4,00 bis 4,25 % gesenkt. Am 30. Oktober wird die Fed voraussichtlich noch mit einer weiteren Zinssenkung in gleicher Höhe nachlegen. Aufgrund des anhaltenden Inflationsdrucks wird das aber wahrscheinlich der letzte Zinsschritt sein.

Im Gegensatz zur US-Notenbank befindet sich die Europäische Zentralbank (EZB) in einer sehr komfortablen Lage. Zwar ist die Inflationsrate im August minimal von 2,0 % auf 2,1 % angestiegen. Insgesamt bestätigt sich jedoch die Einschätzung der EZB, dass die Inflation in der Eurozone unter Kontrolle ist. Derweil hat sich der Zollnebel etwas gelichtet und die Stimmungsindikatoren deuten auf einen konjunkturellen Aufschwung zum Jahresende hin. Die EZB hat daher bei ihrer Sitzung am 11. September den Einlagenzins bei 2,0 % belassen und wir rechnen auch nicht mit weiteren Zinssenkungen. Mittelfristig wird die EZB angesichts der expansiven Fiskalpolitik (insbesondere in Deutschland) und der Lohnkosteninflation aufgrund des demografischen Wandels voraussichtlich genötigt sein, den Leitzins ab Mitte 2027 wieder etwas anzuheben. Bis Anfang 2028 rechnen wir mit einem Einlagesatz in Höhe von 3,0 %.

Wachstums- und Inflationsprognosen

* Berenberg-Daten zu tatsächlichen Wechselkursen, nicht nach Kaufkraftparitäten (KKP). KKP messen den schnell wachsenden Schwellenländern mehr Gewicht bei.
** Durchschnitt, Bloomberg-Konsens per 18.09.2025

Autor

Dr. Felix Schmidt
Leitender Volkswirt