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Kapitalmärkte - Märkte | Fokus | 01. Aug 2025

Unaufhaltsame Staatsverschuldung

Konsequenzen für Anleger
Lesedauer: 15 MIN

Die Sparanstrengungen rund um Elon Musks DOGE in den USA sind im Sande verlaufen. Stattdessen hat die Trump-Administration mit der Verabschiedung des „One Big Beautiful Bill“ das Haushaltsdefizit weiter erhöht und damit den Anstieg der Verschuldung der USA beschleunigt. Die Staatsverschuldung steigt jedoch nicht nur in den USA, sondern weltweit. Wir argumentieren, dass ein weiterer Anstieg der Staatsverschuldung insbesondere in den USA, vorerst kaum aufzuhalten ist. Wir beschreiben die Implikationen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte und leiten konkrete Konsequenzen für Anleger ab. Strukturelle Inflation, steigende Anleiherenditen, Abwertung des US-Dollars sowie die Suche nach Sachwerten und alternativen Absicherungen dürften die prägenden Trends der nächsten Jahre sein. Diese sollten Anleger in ihrer Strategie dringend berücksichtigen.


Entkopplung von Konjunkturentwicklung und Haushaltsdefizit in den USA durch zunehmende prozyklische fiskalische Stimulierung

Die USA hatten seit den 1960er Jahren fast jedes Jahr ein Haushaltsdefizit. Historisch betrachtet bestand jedoch ein enger Zusammenhang zwischen der Höhe des Haushaltsdefizits und der Konjunkturentwicklung, beispielsweise der Arbeitslosigkeit (siehe Abb. 1). In Rezessionen steigen die Arbeitslosigkeit und die Defizite. In besseren Zeiten sind Arbeitslosigkeit und Defizite niedrig. Eine kurze Ausnahme waren die späten 1960er Jahre während des Vietnamkriegs. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine Entkopplung vollzogen. Obwohl die Arbeitslosigkeit schrumpft und niedrig ist, sind die Defizite auf sechs bis sieben Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) angestiegen. Dieses Phänomen wurde während der Pandemie noch verstärkt. Mit dem am 4. Juli 2025 verabschiedeten „One Big Beautiful Bill“ dürfte das Haushaltsdefizit in den USA in den kommenden Jahren selbst bei anhaltend robuster Konjunktur und niedriger Arbeitslosenquote auf sieben bis siebeneinhalb Prozent ansteigen.

Abb. 1: Seit der Finanzmarktkrise ist das US-Haushaltsdefizit hoch und steigend, trotz solider Konjunktur

Zeitraum: 01.01.1955 – 01.05.2025
Quelle: Federal Reserve Economic Data, Federal Reserve Bank of St. Louis

Diese Entkopplung begann mit der Finanzmarktkrise 2008/2009: Bis dahin war in den USA vornehmlich die Verschuldung des Privatsektors angestiegen, also von privaten Haushalten und Unternehmen – von rund 50 % der Wirtschaftsleistung Ende der 1940er Jahre auf ca. 300 % im Jahr 2008/2009 (siehe Abb. 2). Angesichts dieser Verschuldung und der Vermögensverluste durch das Platzen der Immobilienblase verlor der private Sektor trotz historisch niedriger Zinsen seine Bereitschaft zur weiteren Kreditaufnahme. Um Wachstum zu sichern und Deflation zu vermeiden, erhöhte der Staat daraufhin massiv seine Ausgaben. Seither wächst die Staatsverschuldung deutlich schneller als die private. In den letzten 15 Jahren sank die Privatverschuldung relativ zum BIP um etwa 70 Prozentpunkte, während die Staatsverschuldung um rund 60 Prozentpunkte stieg (siehe Abb. 2). Die private Schuldenblase der Finanzmarktkrise wurde effektiv durch eine massive Ausweitung der Staatsverschuldung ersetzt. Eine vergleichbare Entwicklung zeigte sich in den 1930er- und 1940er-Jahren infolge der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs. Die Gesamtverschuldung, also die Summe aus den Schulden des privaten Sektors und des Staates, ist in den letzten rund 100 Jahren kontinuierlich gestiegen und beträgt inzwischen mehr als 100 Billionen US-Dollar (siehe Abb. 3). Lediglich in den vier Jahren nach der Weltwirtschaftskrise (1931-1934) sowie im Jahr 2008, als die Blase auf dem US-Immobilienmarkt platzte, kam es zu einem Rückgang der Gesamtverschuldung.

Abb. 2: Bis zur Finanzmarktkrise stieg die Verschuldung des privaten Sektors tendenziell an. Seitdem schrumpft diese, während die Staatsverschuldung wächst

Eine vergleichbare Entwicklung zeigte sich in den 1930er- und 1940er-Jahren infolge der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs

Zeitraum: 01.01.1930 – 31.03.2025
Quelle: Federal Reserve Economic Data, Federal Reserve Bank of St. Louis

Abb. 3: Die Gesamtverschuldung in den USA (privater Sektor + Staat) ist in den letzten fast 100 Jahren kontinuierlich gestiegen

Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ist die Verschuldung nur nach der Weltwirtschaftskrise, der Finanzkrise und der Pandemie gesunken

Zeitraum: 01.01.1930 – 31.03.2025
Quelle: Federal Reserve Economic Data, Federal Reserve Bank of St. Louis

Die Unaufhaltsamkeit des Verschuldungsanstiegs: Abnehmende Effektivität der Zentralbankpolitik und fiskalische Dominanz

Ein weiterer Anstieg der Verschuldung scheint nahezu unausweichlich, nicht zuletzt, weil die letzten 100 Jahre zeigen, dass das Wachstum in den USA auf einer kontinuierlich steigenden Verschuldung beruht. Zudem ist ein beschleunigter Anstieg der Staatsverschuldung ein globales Phänomen. Der IWF betonte jüngst, dass in Ländern, auf die 80 Prozent des weltweiten BIP entfallen, die Staatsverschuldung höher ist als vor der Pandemie und sich der Anstieg noch beschleunigt (siehe Abb. 4). Gründe und Beispiele hierfür gibt es viele, wie beispielsweise die Kosten für die alternde Bevölkerung und die damit einhergehenden steigenden Sozialausgaben, die Energiewende, Kriege und zunehmende Verteidigungsausgaben. Großbritannien hat beispielsweise im Juni die höchste Neuschuldenaufnahme außerhalb der Pandemie aufgrund steigender Zinsausgaben und Kosten der Sozialversicherung getätigt. Zudem dürfte es mittelfristig auch mal wieder eine tiefere Rezession geben, was zu einer steigenden Arbeitslosigkeit und damit auch steigenden Staatsverschuldung führen dürfte.

Abb. 4: Beschleunigt steigende Staatsverschuldung ein globales Phänomen

Die Staatsverschuldung ist höher und wächst schneller als vor der Pandemie, angetrieben von den größten Volkswirtschaften

Anmerkung: Die Y-Achse zeigt die Veränderung des Schuldenstands im Verhältnis zum BIP zwischen 2019 und 2025. Die X-Achse zeigt die Veränderung des Wachstums der Verschuldung im Verhältnis zum BIP durch Vergleich der Wachstumsrate von 2014-19 mit der prognostizieren von 2024-29. Blasengröße = Anteil am Welt-BIP im Jahr 2024.
Quelle: IWF

Abb. 5: Steigende Zinskosten begünstigen den weiteren Verschuldungsanstieg

Steigende Renditen und hohe Schulden belasten den Staatshaushalt

Zeitraum: 01.01.1970–24.07.2025
Quelle: Federal Reserve Economic Data, Federal Reserve Bank of St. Louis

Ein schneller Wechsel zurück zu mehr privater Verschuldung und weg von der Staatsverschuldung erscheint auch politisch kaum möglich. Dies würde Austerität und höhere Steuern bedeuten, womit man als Politiker keine Wahlen gewinnt. Damit die Wählerschaft solche Schritte akzeptieren würde, bedürfte es wohl zunächst einer handfesten Finanzkrise, die uns aber vorerst nicht wahrscheinlich erscheint.

Zudem gibt es zwei konkrete Zusammenhänge, warum der weitere Anstieg der Staatsverschuldung unaufhaltsam scheint: die unweigerlich steigenden Zinsausgaben und die fiskalische Dominanz.

Der Anstieg der Staatsverschuldung in den 40 Jahren bis zum Beginn der 2020er Jahre war aufgrund der kontinuierlich fallenden Zinsen gut tragbar. In den 1980er Jahren war die Verschuldung mit rund 40 % des BIP vergleichsweise niedrig, allerdings waren die Zinsen hoch. Seitdem ist die Verschuldung gestiegen, während das Zinsniveau 40 Jahre lang fiel. Das änderte sich in den letzten Jahren (siehe Abb. 5). Die Zinsen sinken nicht mehr strukturell, ganz im Gegenteil. Damit werden die Zinsausgaben zu einem bedeutenden Teil der Staatsausgaben. Die Zinskosten für die US-Staatsverschuldung dürften beispielsweise im Jahr 2025 erstmals die Ausgaben für die nationale Verteidigung übertreffen. Diese Entwicklung markiert einen Wendepunkt in der US-Haushaltspolitik und ist Ausdruck der stark gestiegenen Schulden sowie der deutlich höheren Zinsen. Wird nicht anderweitig gespart, erhöht sich damit das Defizit und die Verschuldung steigt weiter. Deshalb nimmt der politische Druck auf die Zentralbank zu, die Zinsen zu senken. Da sich Notenbankchef Powell von diesem Druck bisher nicht beeinflussen lässt, droht Präsident Trump immer offener mit dessen vorzeitiger Entlassung. Powells Amtszeit endet offiziell im Mai 2026.

Auch die US-Notenbank kann den Anstieg der Gesamtverschuldung nicht mehr wirksam verlangsamen. Erhöht die Fed die Zinsen, um das private Kreditwachstum zu begrenzen und die Inflation zu bekämpfen, dürfte dies ironischerweise zu einem schnelleren Anstieg des Staatsdefizits als zu einer Verlangsamung des Kreditwachstums im Privatsektor führen. Die üblichen Instrumente zur Steuerung der Wirtschaft funktionieren nicht mehr richtig: Die Fed kann die Gesamtkreditvergabe im System nicht mehr effektiv bremsen.

Damit befinden wir uns aktuell in einem Umfeld der fiskalischen Dominanz – die Fiskalpolitik dominiert die Geldpolitik. Dies hat zur Folge, dass die üblichen geldpolitischen Instrumente zur Steuerung der Wirtschaft unwirksam werden. Die Fed steht vor einem Dilemma. Wenn sie die Zinsen zu stark senkt, stimuliert sie die Kreditaufnahme im privaten Sektor und Investoren setzen vermehrt auf knappe Vermögenswerte statt auf produktive Anlagen. Hält sie die Zinsen jedoch hoch, bläht dies das staatliche Defizit auf und gefährdet die Schuldentragfähigkeit des Staates. In jedem Fall steigen die Gesamtschulden steigen weiter.

Lediglich ein deutlicher Anstieg der Produktivität – beispielsweise durch Künstliche Intelligenz – könnte das Szenario für die Zukunft optimistischer aussehen lassen. Steigt das Potenzialwachstum deutlich und damit das Wachstum der Steuereinnahmen, könnte das Haushaltsdefizit wieder sinken. Ob es so kommt, ist jedoch unklar. In den kommenden Jahren dürften zumindest zunächst die Zölle, die restriktive Einwanderungspolitik und die Untergrabung von Institutionen zu einer Fehlallokation von Kapital führen, die nach Schätzung unserer Volkswirte in einer Verringerung des Trendwachstums der USA von 2 % auf 1,5 % resultieren und die fiskalischen Risiken der USA verschärfen dürften.


Konsequenzen für Finanzmärkte und Anleger

Konsequenz 1: Kurzfristige Rezession unwahrscheinlich, mittelfristig Gefahr von Blasen und Korrekturen

Hohe, steigende und prozyklische Fiskalausgaben machen eine zeitnahe Rezession unwahrscheinlicher. Das stützt Aktien- und Rohstoffmärkte. Staatsanleihen, die in den Jahren der Disinflation in einem Wirtschaftsabschwung und insbesondere in Rezessionen hinein die Nase vorne hatten, sind die Leidtragenden. Diese prozyklische Stimulierung erhöht jedoch mittelfristig das Risiko für eine Blasenbildung an den Finanzmärkten und ein Überhitzen der Wirtschaft, was dann mittelfristig in einer tieferen Rezession und einem Platzen der Spekulationsblasen münden kann.

Konsequenz 2: Strukturell höhere und volatilere Inflation

Staatliche Schulden und kontinuierliche Defizite wirken sich langfristig inflationstreibend aus. Die kontinuierliche fiskalische Stimulierung bringt mehr (nominelles) Wachstum und damit tendenziell mehr Inflation. Zudem bedeutet die Situation der fiskalischen Dominanz, dass die Zentralbank, um die Schuldentragfähigkeit des Staates zu gewährleisten, die Zinsen in der mittleren Frist niedriger hält, als es angesichts von Wachstum und Inflation angemessen wäre – die Realzinsen werden mittels finanzieller Repression negativ oder zumindest unterhalb des Potenzialwachstums gehalten. Auch dies spricht für mehr Wachstum und/oder eine strukturell höhere Inflation. Zusätzliche Faktoren wie die Deglobalisierung, der demographische Wandel, die Energiewende und hohe Rüstungsausgaben sorgen für noch mehr Inflation.¹

Wir sind deshalb nach wie vor davon überzeugt, dass die Inflation strukturell höher bleibt als im deflationären Umfeld der Jahre zwischen 2000 und 2020 und stärkeren Schwankungen unterliegt, d.h., sie kommt und geht in Wellen. Ein Grund hierfür sind die längerfristigen Angebotsengpässe bei Rohstoffen sowie der zunehmende Mangel an Arbeitskräften. Diese dürften dazu führen, dass sich im Fall einer Wachstumserholung die Inflation wieder erhöht. Die Folge wären stärkere und schnellere geldpolitische Zyklen und damit auch kürzere, ausgeprägtere und erratischere Wirtschaftszyklen ähnlich dem Umfeld in den 1940er- und den 1960er- und 1970er-Jahren (siehe Abb. 6).

Abb. 6: Ein Inflationsbuckel kommt selten allein! Inflation und Inflationsvolatilität dürften hoch bleiben

Ohne Flaute am Arbeitsmarkt und mehr Rohstoffkapazitäten dürfte erneutes Realwachstum die Inflation wieder anheizen

Zeitraum: 01.01.1940 – 30.06.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Konsequenz 3: Steigende Anleiherenditen und eine Versteilung der Zinsstrukturkurve, bis die Notenbanken oder der Staat dagegen steuern

Staatsanleihen sind die Leidtragenden, wenn eine Rezession unwahrscheinlicher wird, sich das Angebot an Anleihen erhöht und steigende Inflationsrisiken den Schutz der Kaufkraft für Anleger bedeutender machen. In den kommenden Jahren muss die US-Regierung voraussichtlich jedes Quartal Käufer für zusätzliche Staatsanleihen im Wert von 500 bis 600 Milliarden US-Dollar finden. Internationale Anleger zeigen jedoch immer weniger Interesse an US-Staatsanleihen. Insbesondere die Schwellenländer reduzieren verstärkt den US-Dollar-Anteil an ihren Währungsreserven. Bei dieser Entwicklung spricht man von der Dedollarisierung der Zentralbankreserven. Ein wesentlicher Auslöser hierfür war, dass Russland nach dem Angriff auf die Ukraine aufgrund westlicher Sanktionen nicht mehr auf seine US-Dollar-Reserven zugreifen kann. Mit der Politik von Donald Trump hat jedoch auch ein grundsätzlicher Vertrauensverlust gegenüber der Verlässlichkeit der USA und dem US-Dollar eingesetzt. Vor diesem Hintergrund wollen immer mehr Länder ihren Zugang zu Kapital diversifizieren und ihre Abhängigkeit vom dollarzentrierten Finanzsystem verringern.

Die USA reagieren darauf mit regulatorischen Änderungen, um die Binnennachfrage nach US-Staatspapieren anzuregen. So hat die US-Bankenaufsicht im Juni/Juli 2025 die Kapitalvorschriften („Supplementary Leverage Ratio“, kurz SLR) für große Banken gelockert, um ihnen zu ermöglichen, mehr US-Staatsanleihen auf ihren Bilanzen zu halten. Zudem wurden die Emittenten von Stablecoins im Rahmen der jüngst in den USA verabschiedeten Stablecoin-Regulierung (GENIUS Act) verpflichtet, die digitalen Coins zu 100 % mit US-Staatsschuldtiteln zu besichern. Mittelfristig dürfte es aber nur mit höheren Renditen und einem schwächeren US-Dollar (siehe Konsequenz 4) gelingen, genügend Nachfrage nach US-Staatsanleihen zu erzeugen. Mittel- bis langfristig erachten wir steigende Renditen für langlaufende Anleihen in den USA als eines der Hauptrisiken für die Märkte. Es sei denn, die USA stellen die Neuemission von Anleihen langer Laufzeiten ein, die Zentralbank beginnt erneut im großen Stil US-Staatsanleihen zu kaufen (Quantitative Lockerung) oder über andere Wege das lange Ende der Renditekurve zu kontrollieren.

Abb. 7: Langfristige Zinswende scheint vollzogen

Mit der Pandemie erreichten langfristige Zinsen 2020 ihr niedrigstes Niveau und steigen seitdem

Zeitraum: 01.01.1921 - 30.06.2025
Quelle: Haver Analytics, Bloomberg

Abb. 8: Mittelfristig wohl weiter steigende Renditen bei Staatsanleihen langer Laufzeiten

Die Renditen langlaufender Staatsanleihen stiegen global deutlich an

Zeitraum: 01.01.1995 - 25.07.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Höhere Anleiherenditen machen Anleihen für Anleger zwar auf den ersten Blick wieder attraktiver. Solange jedoch das Risiko eines weiteren Anstiegs besteht, sind Anleihen mit langen Laufzeiten für Anleger wenig attraktiv. Dies gilt umso mehr, wenn Anleger befürchten müssen, dass das Renditeniveau das bestehende Inflationsrisiko nicht hinreichend kompensiert. Wird das Renditeniveau durch niedrige Zentralbankzinsen, quantitative Lockerung oder eine Renditekurvenkontrolle künstlich nach unten gedrückt, sind die Chancen begrenzt, als Anleger eine nach der Inflation angemessene Realrendite zu erwirtschaften. Die Anleger werden über die Zeit durch eine zu niedrige oder negative Realverzinsung „enteignet“ („finanzielle Repression“) und die Schuldenlast des Staates wird reduziert – ähnlich der Situation in den 1940er Jahren.

Konsequenz 4: Abwertung des US-Dollars und Bedarf globaler Diversifikation

Auch ein schwächerer US-Dollar würde US-Staatsanleihen für internationale Anleger wieder attraktiver machen. Aus diesem Grund und auch um die internationale Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen zu erhöhen, ist eine Schwächung des hoch bewerteten US-Dollars ein explizites Ziel der Trump-Administration. In den letzten 10 bis 15 Jahren ist sehr viel Kapital in den US-Dollar und US-Dollar-Anlagen geflossen. Dadurch haben sich sowohl die Bewertung des US-Dollars als auch die von US-Dollar-Anlagen kontinuierlich ausgeweitet. Der US-Dollar ist deshalb gegenüber nahezu allen anderen Währungen überbewertet. Abbildung 9 verdeutlicht dies für das Währungspaar Euro/US-Dollar. Trotz der Abwertung des US-Dollars gegenüber dem Euro um mehr als 10 % seit Jahresbeginn ist er auf Basis der Kaufkraftparität immer noch um mehr als 20 % überbewertet.

Abgesehen von der hohen Bewertung und dem Wunsch der US-Regierung sprechen auch strukturelle Faktoren (steigende US-Verschuldung, Vertrauensverlust in US-Institutionen, Dedollarisierung von Zentralbankreserven, Aufkommen alternativer Anlageziele und -möglichkeiten) für eine mittelfristige Dollar-Abwertung.² Entsprechend neigt der Dollar bereits seit Jahresbeginn zur Schwäche, obwohl sich die Zinsdifferenz zwischen den USA und anderen Ländern ausgeweitet hat (siehe Abb. 10). Auch hat sich der US-Dollar während der Phase des starken Abverkaufs von risikobehafteten Anlagen Anfang April – anders als in der Vergangenheit – nicht als sicherer Hafen erwiesen.

Abb. 9: US-Dollar unverändert überbewertet

EUR/USD im Vergleich zur EUR/USD-Kaufkraftparität laut OECD

Zeitraum: 01.01.1996 – 25.07.2025
Quelle: OECD, Bloomberg, eigene Berechnungen

Abb. 10: Zusammenhang zwischen Entwicklung der Zinsdifferenzen und des US-Dollars jüngst gebrochen

In der jüngsten Phase der Marktturbulenzen zeigte sich der US-Dollar nicht als der klassische „sichere Hafen”

Zeitraum: 01.07.2023 – 25.07.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Wir erwarten, dass sich der US-Dollar mittelfristig ähnlich wie in der Phase von 2003 bis 2008 weiter abschwächt und sich damit die Überbewertung des US-Dollars und von US-Dollar-Anlagen in den kommenden Jahren normalisiert. Abbildung 9 legt jedoch auch nahe, dass sich der Dollar nach der Korrektur der Überbewertung nicht in der Nähe der Kaufkraftparität stabilisieren dürfte. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich eine solche Entwicklung fortsetzt, bis der US-Dollar deutlich unterbewertet ist. Historisch betrachtet war der US-Dollar meistens entweder deutlich über- oder deutlich unterbewertet. Ein EUR/USD-Wechselkurs von 1,50 ist damit auf Sicht von fünf Jahren nicht unrealistisch.

Abb. 11: Dollar-Schwäche begünstigt Aktien außerhalb der USA

Handelsgewichteter US-Dollar vs. USA/Welt ex. USA

Zeitraum: 01.01.1998 – 25.07.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Angesichts dessen sollten Anleger ihre Währungsrisiken in US-Dollar-Anlagen stärker absichern, ihren US-Fokus reduzieren und ihre Anlagen stärker global diversifizieren. US-Aktien haben in den letzten 15 Jahren zusammen mit der Aufwertung des US-Dollars eine Outperformance erzielt (siehe Abb. 11). Eine Normalisierung der Bewertung des US-Dollars und von US-Dollar-Anlagen dürfte mittelfristig zu einer besseren relativen Entwicklung von Anlagen außerhalb der USA führen. Für Anleger, die in den letzten Jahren stark auf US-Anlagen gesetzt haben, könnte eine Umschichtung zugunsten von Anlagen aus dem Rest der Welt sinnvoll sein. Eine verstärkte geografische Diversifizierung ist auch deshalb wieder sinnvoll, da die einzelnen Aktienregionen bereits seit der Finanzmarktkrise eine rückläufige Korrelation aufweisen.

Konsequenz 5: Sachwerte und knappe Vermögensanlagen gewinnen an Bedeutung

Parallel zur steigenden Verschuldung hat die amerikanische Zentralbank die Geldbasis, das sogenannte Notenbankgeld, erhöht. Eine beliebig ausweitbare Geldbasis stärkt Anlageklassen mit realem Wert, deren Angebot begrenzt ist – also Immobilien, Gold, Rohstoffe und Aktien mit Preissetzungsmacht oder hoher „Real Asset“-Komponente (Unternehmen, die Real Assets halten und deren Wert bisher nicht hinreichend in der Bewertung zum Ausdruck kommt, z.B. Minenaktien…). Die Nachfrage nach knappen Vermögenswerten von höchster Qualität als Schutz vor Inflation und Währungsabwertung bleibt hoch. Dies verdeutlicht die Entwicklung des Goldpreises in den letzten Jahren und insbesondere seine Entkopplung von der Entwicklung der Realzinsen in den USA.

In der Vergangenheit bestand eine starke Korrelation zwischen Goldpreisen und Realzinsen. Gold konkurriert mit US-Staatsanleihen als globale Reservewerte. Gold ist ein knappes Gut, dessen Angebot jährlich nur um etwa 1 bis 2 % wächst, aber es zahlt keine Zinsen. Staatsanleihen zahlen zwar Zinsen, werden aber in größerem Umfang ausgegeben. Wenn die Rendite von Staatsanleihen im Vergleich zur Inflation hoch ist, ziehen diese Investoren an, die andernfalls Gold kaufen würden. Sind die Renditen im Vergleich zur Inflation hingegen nicht hoch genug, strömen Investoren zu Gold. Seit etwa 2022 hat sich diese Korrelation aufgelöst (siehe Abb. 12). Trotz steigender Zinsen ist der Goldpreis gestiegen. Dies spiegelt die Veränderung hin zu einem fiskalisch dominierten Umfeld wider. Diese Entkopplung ist für alle Vermögenspreise mit Sachwertcharakter relevant, insbesondere für knappe Güter.

Wir argumentieren schon lange, dass ein Umfeld steigender Staatsverschuldung, zunehmender fiskalischer Dominanz und finanzieller Repression zur Sicherstellung der Schuldentragfähigkeit des Staates für einen deutlichen Anteil von Anlagen mit Sachwertcharakter im Portfolio spricht – zulasten von Anleihen. So ist der Goldpreis in den letzten Jahrzehnten parallel zur Verschuldung der USA gestiegen (Abb. 13). Entwickeln sich beide weiter parallel, dürfte der Goldpreis im Jahr 2035 bei 6.000 USD pro Unze stehen. Das entspräche einer annualisierten Rendite von etwa 6,3 %.

Abb. 12: Der Goldpreis steigt trotz hoher US-Realzinsen

Anleger befürchten eine Abwertung des US-Dollar – sie bevorzugen damit Gold gegenüber US-Staatsanleihen, trotz deren scheinbar attraktiven Realverzinsung

Zeitraum: 01.01.2006 – 24.07.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Abb. 13: Potenzial für den Goldpreis steigt mit der Verschuldung

Angesichts nicht nur in den USA steigender Staatsverschuldung und eines abwertenden US-Dollars bleibt Gold als sicherer Hafen gefragt

Zeitraum: 01.01.1993 - 31.12.2035; Stand: 25.07.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Konsequenz 6: Stärkerer Gleichlauf von Aktien und Staatsanleihen erfordert breitere Portfoliodiversifikation und alternative Absicherungen

In Zeiten erhöhter Inflation und Inflationsvolatilität bieten Anleihen keinen verlässlichen Absicherungsschutz mehr. Ist das Kommen und Gehen der Inflation das den Markt dominierende Thema, entwickeln sich Aktien und Staatsanleihen stärker im Gleichlauf. Überrascht die Inflation nach oben (unten), wirkt sich dies typischerweise negativ (positiv) auf beide Anlageklassen aus. Ab einer Kerninflationsrate von 3 % ist historisch fast ausschließlich eine positive Korrelation von Aktien und Staatsanleihen zu beobachten (siehe Abb. 14).³ In Phasen erhöhter und schwankender Inflationsraten erfüllen Anleihen ihre Rolle als Diversifikation von Aktienrisiken somit nicht mehr zuverlässig.

Anleger sollten deshalb nach Alternativen zur Diversifikation suchen. Multi-Asset-Portfolios, die rein auf Aktien und Anleihen setzen, werden es in diesem Umfeld schwerer haben, ihre Volatilität effektiv zu reduzieren. Hierfür gibt es zwei Lösungen. Erstens eine breitere Diversifikation des Portfolios, die wir als „Wahres Multi Asset“ bezeichnen, mit einem höheren Anteil an Sachwertanlagen wie Rohstoffen und Rohstoffunternehmen. Zudem bieten diese eben genau dann einen Absicherungseffekt, wenn die Rohstoffpreise zu Inflationsüberraschungen führen und Anleihen und Aktien gleichermaßen unter der Inflationsüberraschungen leiden. Dies ließ sich sehr gut im Jahr 2021, im Sommer 2023 und auch im April 2024 beobachten.

Eine zweite Lösung ist der Einsatz von zuverlässigen optionsbasierten Absicherungsstrategien, die sowohl von fallenden Märkten als auch von steigender Volatilität profitieren können.⁴ Viele andere Diversifikationsansätze, die in stabilen Zeiten unkorreliert erscheinen, weisen in Marktkrisen starke Korrelationen auf und bieten daher keinen Schutz. Ihre Diversifikation ist oft dann enttäuschend, wenn sie am meisten benötigt wird. Bei optionsbasierten Absicherungsstrategien muss das Ziel darin bestehen, den „negativen Carry“, der die Portfoliorendite in guten Zeiten wie eine wiederkehrende Versicherungsprämie schmälert, so gering wie möglich zu halten. Hierfür gibt es derzeit nur eine Handvoll investierbarer Investmentansätze am Markt. Die Nachfrage nach diesen Ansätzen dürfte weiter stark wachsen, da optionsbasierte Absicherungsstrategien eine sinnvolle Alternative zur Diversifikation des Portfolios darstellen können.

Abb. 14: Höhere Inflation führte historisch zu stärkerem Gleichlauf von Risikoanlagen und Staatsanleihen

Verlauf der 24M-rollierenden Korrelation zwischen langlaufenden US-Staatsanleihen und dem S&P 500 Index und Verlauf der US-Kernverbraucherpreisinflation

Zeitraum: 01.01.1958 - 30.06.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Abb. 15: Anleihen „hedgen“ Aktien auch auf täglicher Basis deutlich weniger als im Zeitraum 2000 bis 2020

Anteil aller S&P 500-Verlusttage mit positiver Entwicklung von US-Staatsanleihen

Zeitraum: 01.01.1962 – 25.07.2025
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen

Fazit

Der Trend zur stark steigenden Staatsverschuldung sowohl in den USA als auch weltweit dürfte in den kommenden Jahren nicht zu stoppen sein. Hohe Staatsausgaben und fiskalische Anreize dürften zwar kurzfristig eine Rezession verhindern. Diese prozyklische Stimulierung erhöht jedoch mittelfristig das Risiko von Blasenbildungen an den Finanzmärkten und einer Überhitzung der Konjunktur – was mittelfristig in einer tieferen und schmerzhaften Rezession und dem Platzen von Blasen am Finanzmarkt münden kann. Hohe Staatsausgaben, strukturelle Inflation, steigende Anleiherenditen, die Abwertung des US-Dollar und die Suche nach Sachwerten und alternativen Absicherungen dürften die prägenden Trends der nächsten Jahre sein. Diese sollten Anleger in ihrer Strategie dringend berücksichtigen.

Vor diesem Hintergrund setzen wir bei Berenberg in unseren Multi-Asset-Strategien bereits seit Jahren auf einen deutlichen Anteil von Sachwerten wie Rohstoffe, auch jenseits von Gold, die Nutzung der vollen Kapitalstruktur sowie eine Diversifikation über alle Anlageklassen, Regionen und Segmente hinweg. Diesen Ansatz nennen wir „Wahres Multi Asset“.⁵

Abb. 16: Berenberg Wahres Multi Asset – mehr als nur eine Mischung von Aktien, Anleihen, Gold und Kasse

Quelle: Berenberg

Autoren

Prof. Dr. Bernd Meyer
Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset
Telefon +49 69 91 30 90-225
Ulrich Urbahn
Leiter Multi Asset Strategy & Research