Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit und Sicherheit. Aber sie braucht dringend mehr Hilfe, da sie am Boden und in der Luft langsam ins Hintertreffen gerät. Auf die USA kann Kiew sich nicht mehr verlassen und in Europa hat nur Deutschland den Spielraum im Staatshaushalt, die Hilfen rasch aufzustocken. Kleckern reicht nicht. Wenn Deutschland nicht klotzt, würde es nach einem weiteren Vorrücken Putins künftig noch mehr für seine Verteidigung ausgeben müssen. Ich schlage deshalb vor, Berlin möge der Ukraine 20 Milliarden Euro in Aussicht stellen, damit Kiew bei der eigenen leistungsfähigen aber unterausgelasteten Rüstungsindustrie schnell mehr Waffen bestellen kann. Ein solcher Schritt wäre vor dem NATO-Gipfel am 24. und 25. Juni auch ein klares Signal an US-Präsident Donald Trump, dass Deutschland kein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer der USA mehr ist. Das könnte vielleicht sogar die Chancen erhöhen, dass Trump den Zollstreit mit der EU durch ein erträgliches Abkommen entschärft.

Deutschlands beste Investition:
20 Milliarden Euro mehr für die Ukraine

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Auf Deutschland kommt es an

Seit mehr als drei Jahren verteidigt die Ukraine auch unsere Freiheit und Sicherheit. Aber dafür braucht sie dringend mehr Hilfe. Denn am Boden und in der Luft gerät sie allmählich ins Hintertreffen. Ihr fehlen die Ressourcen, um mit der steigenden russischen Rüstungsproduktion mithalten zu können. Mehr westliche Hilfe könnte hier einen Unterschied machen. Auf die USA kann die Ukraine sich nicht mehr verlassen. In Europa hat nur Deutschland den Spielraum in seinem Staatshaushalt, um die Zahlungen für Kiew rasch und spürbar aufzustocken. Kleckern reicht nicht. Wenn Deutschland jetzt nicht klotzt, wird es künftig noch wesentlich mehr für seine Verteidigung ausgeben müssen. Denn je mehr Putin jetzt vorrücken kann, desto größer wird die Gefahr, dass er erst die freie Ukraine niederringen kann, um danach womöglich auch ein Mitglied der NATO zu überfallen.

Die Ukraine braucht mehr Hilfe

Die Ukraine braucht vor allem dreierlei. Erstens ein Mindestmaß an Unterstützung aus den USA, insbesondere den Zugang zum Starlink-Satellitensystem sowie Geheimdienstinformationen über das russische Militär. Auch wenn Europa seine eigenen Fähigkeiten in diesen Bereichen langsam aufbaut, wird es hier den US-Beitrag vorerst noch nicht ersetzen können. Zweitens muss der Westen alles nur erdenklich Mögliche daransetzen, die ukrainische Luftabwehr zu stärken. Der Bombenterror, mit dem Putin die Ukraine nahezu jede Nacht überzieht, verursacht viel menschliches Leid und beeinträchtigt zudem die kriegswichtige Infrastruktur des Landes. Und drittens braucht die Ukraine mehr und bessere Waffen, um sich wirkungsvoller gegen die russischen Invasoren zu wehren.

Der ukrainischen Rüstungsindustrie fehlt Geld

Deutschland leistet bereits mehr als jedes andere europäische Land für die Ukraine. Angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine und den USA könnte und sollte es jedoch mehr tun als bisher. Ob der US-Kongress noch einmal erhebliche Mittel für die Ukraine bewilligen wird, ist mehr als fraglich. Erstens sollte Deutschland den USA deshalb anbieten, einen Teil der Kosten dafür zu übernehmen, dass die USA Kiew weiterhin die unverzichtbaren Informationen und Systeme zukommen lassen. Zweitens sollte Berlin prüfen, ob es selbst noch Luftverteidigungssysteme entbehren oder sie in anderen Ländern für die Ukraine kaufen kann. Den größten Beitrag für die Ukraine könnte Deutschland jedoch leisten, indem es drittens die ukrainische Rüstungsindustrie unterstützt. Die ukrainischen Betriebe und ihre Mitarbeiter stellen jeden Tag unter Beweis, wie leistungsfähig, flexibel und innovativ sie sind. Im technologischen Wettlauf mit Russland lernen sie rasch, welche Systeme in der jeweils aktuellen Lage auf dem Schlachtfeld oder bei Schlägen gegen die russische Infrastruktur Erfolge erzielen können. Aber die Betriebe sind nicht ausgelastet. Ihnen fehlt das Geld, um all das zu produzieren, was sie könnten.

Ein Schritt in die richtige Richtung

Bei seinem Besuch in Kiew hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bereits einen wichtigen Schritt in diese Richtung angekündigt. Über die bisher geplante deutsche Hilfe hinaus hat er der Ukraine weitere 1,9 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, um damit den Bau weitreichender Raketen in der Ukraine zu finanzieren und der ukrainischen Regierung zu ermöglichen, mehr Material bei der eigenen Rüstungsindustrie zu bestellen. Aber wie die bisherige deutsche Hilfe für Kiew dürfte dies nicht ausreichen, um einen entscheidenden Unterschied zu machen. Deshalb schlage ich vor, der Ukraine statt der 1,9 Milliarden Euro unverzüglich einen Betrag von 20 Milliarden Euro in Aussicht zu stellen, den Kiew verteilt über mehrere Jahre abrufen könnte. Damit könnte Kiew die eigene Rüstungsproduktion rasch erheblich steigern und verbessern sowie weitere Kapazitäten aufbauen. Die Ukraine strebt an, ihre Rüstungsproduktion in diesem Jahr auf etwa 30 Milliarden Euro zu steigern. Eine gesicherte Finanzierung aus Deutschland für Aufträge im Wert von 20 Milliarden Euro könnte hier viel bewirken. Eine Zusammenarbeit mit deutschen und anderen europäischen Rüstungsbetrieben wäre erwünscht, eine Korruptionskontrolle wäre unerlässlich.

Die ukrainische Rüstungsindustrie schützt auch uns

Mehr Geld für in der Ukraine hergestellte Waffen hätte zwei weitere Vorteile. Erstens können die Betriebe dort zumeist wesentlich günstiger produzieren als in Westeuropa. So gesehen wäre dies eine kostensparende Methode, um Putins Streitkräfte durch zusätzliche Waffen in die Schranken zu weisen. Zweitens könnte eine größere und leistungsfähigere ukrainische Rüstungsindustrie nach einem möglichen Ende von Russlands Krieg gegen die Ukraine wesentlich dazu beitragen, die europäischen NATO-Länder rasch mit mehr wirkungsvollen Waffen zu versorgen. Denn in Deutschland und seinen europäischen Partnern dürfte es noch Jahre dauern, bis sie selbst die Kapazitäten in ihrer Rüstungsindustrie aufgebaut haben, um mit selbst gefertigten Waffen alle denkbaren russischen Angriffe abschrecken und somit verhindern zu können.

Ukrainische Waffen schützen auch uns

Mit der Zusage von 20 Milliarden Euro für die ukrainische Rüstungsindustrie würde Deutschland als größte Wirtschaftsmacht Europas seiner Führungsrolle gerecht werden. Berlin sollte andere Länder zu einem ähnlichen Schritt auffordern, dies aber angesichts des unmittelbaren Entscheidungsbedarfs nicht vorab zur Bedingung machen. Denn anders als nahezu alle anderen Länder Europas kann Deutschland es sich finanziell leisten. Natürlich bestünde die Gefahr, dass andere Länder sich hinter einer zusätzlichen deutschen Hilfe für die Ukraine verstecken und ihre eigenen Leistungen nicht steigern würden. Die Alternative, also ein „weiter so wie bisher“, wäre aber die weit schlechtere Lösung. Zudem kann Berlin im Rahmen der Europäischen Union durchaus einen gewissen Druck auf andere Länder ausüben. Beispielsweise können die anstehenden Verhandlungen über europäische Finanzfragen immer nur mit Zustimmung Berlins gelöst werden. Deutschland könnte seine Haltung in diesen Fragen davon abhängig machen, wie sehr andere Länder ebenfalls die Ukraine unterstützen.

Ein wichtiges Signal auch an Trump und Putin

Mit weiteren 20 Milliarden Euro für die Ukraine – das entspricht knapp 0,5 % der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung – würde Deutschland dem sich abzeichnenden NATO-Ziel für Verteidigungsausgaben von 3,5 % des Bruttoinlandsprodukts sichtbar näherkommen. Sollte Bundeskanzler Friedrich Merz einen solchen Schritt noch vor dem NATO-Gipfel am 24. und 25. Juni ankündigen, würde dies nicht nur die Allianz stärken. Es wäre auch ein Signal an US-Präsident Donald Trump, dass Deutschland endgültig aufgehört hat, sich als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer auf den Schutz der USA zu verlassen, statt gemäß seinen eigenen Möglichkeiten zur Verteidigung des eigenen Landes und seiner Nachbarn beizutragen. 20 Milliarden Euro mehr für die Ukraine könnten vielleicht sogar Russlands Präsidenten Putin beeindrucken und somit dazu beitragen, ihn letztlich zu echten Verhandlungen über eine für die Ukraine und Europa erträgliche Lösung zu zwingen.

Autor

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt
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