Die französische Krise
Nach weniger als einem Monat hat Premierminister Sebastien Lecornu das Handtuch werfen müssen. Ebenso wie seinem Vorgänger Francois Bayrou ist es ihm nicht gelungen, ein Bündnis aus Sozialisten, Republikanern und Liberalen zu schmieden. In der Nationalversammlung stehen sich weiterhin drei ähnlich große Lager weitgehend unversöhnlich gegenüber, die politische Mitte (Liberale und Republikaner), die Linke (einschließlich der Sozialisten) und die Rechte (vor allem Marine Le Pens RN).
Seit Präsident Macron im Juni 2024 vorgezogene Neuwahlen zum Parlament ausgerufen hat, ist Frankreich politisch gelähmt. Macron kann jetzt versuchen, zum vierten Mal seit Mitte 2024 einen neuen Premierminister zu berufen, vielleicht einen Technokraten, einen weiteren Politiker der Mitte oder sogar einen Sozialisten. Aber jeder neue Regierungschef stünde vor dem gleichen Problem, dass keine Mehrheit für einen Staatshaushalt und ein weitergehendes politisches Programm in Sicht ist.
Neuwahlen würden vermutlich wenig ändern. Die Sozialisten, Republikaner und Le Pens Rechtsnationalisten könnten wahrscheinlich auf Kosten von Macrons Liberalen zulegen. Aber zu einer Mehrheit für eines der drei Lager würde es wahrscheinlich nicht reichen.
Eine theoretische Möglichkeit für eine Regierung, die nicht sofort wieder durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden könnte, wäre weiterhin ein Bündnis aus Sozialisten und den Parteien der Mitte. Nach Neuwahlen könnte unter dem Druck der Märkte die Wahrscheinlichkeit dafür steigen.
Aber die Forderungen der Sozialisten (neue Vermögensteuer, Rücknahme des schrittweisen Anstiegs des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre) sind weit von den Vorstellungen der Republikaner und der Liberalen entfernt. Eine andere theoretische Möglichkeit nach Neuwahlen könnte sein, dass die Republikaner Le Pens RN zu einer Mehrheit verhelfen. Davor scheuen sie aber aus guten Gründen zurück. Sollte es dennoch dazu kommen, würden die Republikaner vermutlich einige der Vorschläge Le Pens, zu denen auch eine Teilrücknahme der Rentenreform gehört, etwas entschärfen.
Eine tiefe Euro-Krise wie in den Jahren 2010-2012 zeichnet sich nicht ab. So schlimm steht es um die französischen Staatsfinanzen längst nicht. Frankreich heute (Staatsdefizit 5,8% des BIP 2024) ist nicht gleich Griechenland damals (Defizit von 15,4% in 2009). Bei massiven Turbulenzen würde zudem vermutlich die Europäische Zentralbank eingreifen. Weniger um Frankreich zu helfen, sondern vor allem um ein Überspringen einer Krise auf andere Länder wie Italien zu verhindern.
Zwar (noch) nicht wahrscheinlich aber durchaus möglich ist jedoch eine gewisse französische Finanzkrise mit einem weiteren kräftigen Anstieg der Renditen für französische Staatsanleihen, sofern sich in Paris keine Lösung abzeichnet. Wesentlich höhere Finanzierungskosten könnten dann die Politiker in Paris dazu zwingen, sich letztlich doch auf eine Lösung zu einigen. Bisher sind die Ausschläge an den Märkten weit von der Schwelle einer echten Krise entfernt.
Macron hat durch seine Reformen Frankreichs Wirtschaft vorangebracht. Von seinem Amtsantritt 2017 bis Mitte 2024 konnte die Wirtschaft in Frankreich zumeist schneller zulegen als in anderen großen Ländern Europas. Seit den Neuwahlen zum Parlament im Sommer 2024 ist Frankreich dagegen hinter den europäischen Durchschnitt zurückgefallen.
Die politische Unsicherheit wird weiter auf Frankreich lasten, nach Lecornus Rücktritt sogar noch mehr als zuvor. Zudem zeichnet sich ab, dass einige Reformen wie die Rentenreform zumindest teilweise rückgängig gemacht werden könnten. Daran sind das rechte und linke Lager sich einig. Die Kräfte der Mitte, die dies verhindern wollen, haben keine Mehrheit.
Ein mögliches Szenario ist, dass Le Pens RN entweder nach vorgezogenen Parlamentswahlen oder nach der regulären Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2027 an die Macht kommt. Ihr (oder ihrem Statthalter Jordan Bardella) könnte es dann ergehen wie einst Alexis Tsipras in Griechenland. Anfang 2015 mit illusorischen Wahlversprechen an die Macht gekommen musste er nach kurzer Zeit seine Wahlversprechen kassieren und stattdessen auf eine scharfe Spar- und Reformpolitik einschwenken. Die Finanzmärkte und Griechenlands offizielle Geldgeber ließen ihm keine andere Wahl. Ein Ausstieg aus dem Euro wäre katastrophal gewesen. Da auch Le Pen vor solch einer Mega-Krise zurückschrecken würde, könnte es dann ihre Partei sein, die letztlich von den Finanzmärkten gezwungen wird, den Staatshaushalt wieder auf eine zumindest etwas solidere Basis zu stellen. Als Szenario ist dies zumindest denkbar, wenn die politische Mitte selbst keine Lösung findet.
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