Vor sieben Monaten feierten die Märkte die bevorstehende Lockerung der deutschen Schuldenbremse sowie erste Anzeichen dafür, dass die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus der europäischen Wirtschaft lediglich einen überschaubaren Schaden zufügen würde. In den letzten drei Monaten ist diese milde Europhorie jedoch neuen Zweifeln gewichen. Manche Beobachter sind enttäuscht über vermeintlich mangelnde Fortschritte in Deutschland. Unserer Ansicht nach war jedoch nie damit zu rechnen, dass Deutschland seine Investitionen so schnell hochfahren würde, wie es sich einige Beobachter erhofft hatten. Bereits im März hatten wir darauf hingewiesen, dass die positive Stimmung zwar weitgehend gerechtfertigt sei, dass der Stimulus aber frühestens Ende des Jahres die Wirtschaft erreichen würde. Insgesamt ist das deutsche Ausgaben- und Reformprogramm weitgehend auf Kurs. Wir erwarten weiterhin, dass die zusätzlichen Ausgaben das deutsche BIP-Wachstum in den nächsten Jahren jährlich um etwa 0,3 Prozentpunkte anheben werden. Auch wenn die Euphorie vor sieben Monaten, wie von uns damals angemerkt, etwas übertrieben war, sehen wir heute keinen Grund, ernsthaft enttäuscht zu sein.

Volkswirtschaft - Trends | 02. Okt 2025

Von Europhorie zu Euro-Zweifeln

Lesedauer: 15 MIN

Wo ist das Geld?

Vor sieben Monaten feierten die Märkte die bevorstehende Lockerung der deutschen Schuldenbremse sowie erste Anzeichen dafür, dass die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus der Wirtschaft der Eurozone lediglich einen überschaubaren Schaden zufügen würde. In den letzten drei Monaten ist die milde Euphorie jedoch gewissen Zweifeln gewichen. Vor allem Unternehmen und Investoren fragen sich: Was ist aus dem deutschen Geld geworden? Wann kommen die Aufträge? Die geringe Sichtbarkeit belastet das Vertrauen der Unternehmen und ihre Investitionspläne.

Bereits im März hatten wir darauf hingewiesen, dass die positive Stimmung weitgehend gerechtfertigt sei. Erstens ist die Zeitenwende in der deutschen Fiskalpolitik real. Zusammen mit einigen spürbaren, wenn auch unvollständigen Reformen auf der Angebotsseite wird die zusätzliche Nachfrage Deutschland zumindest für die nächsten Jahre wieder zu einem substanziellen Wirtschaftswachstum verhelfen. Zweitens hätte Trump zu viel zu verlieren, wenn er seine Handelskriege und andere fehlgeleitete Politiken so weit eskalieren ließe, dass sie die USA in eine Rezession stürzten und einen starken Abschwung in Europa verursachen würden. Wir hatten aber auch im März bereits davor gewarnt, dass die damalige Europhorie möglicherweise etwas zu überschwänglich war.

Bislang sehen wir keinen Grund, diese Einschätzung grundlegend zu ändern. Abgesehen von der Korrektur etwas zu optimistischer Erwartungen haben sich die Aussichten für Deutschland und Europa unserer Meinung nach nicht wesentlich verschlechtert.

Der deutsche Stimulus: Weitgehend auf Kurs

Wir haben nie erwartet, dass Deutschland seine Investitionsausgaben so schnell hochfahren würde, wie es sich einige überwiegend nichtdeutsche Beobachter nach der Reform der Schuldenbremse erhofft hatten. Deutschland braucht in der Regel Zeit, um Dinge umzusetzen. Im Großen und Ganzen ist das deutsche Programm jedoch auf Kurs. Erste Reformen auf der Angebotsseite, darunter der „Investitions-Booster“ in Form von Sonderabschreibungen auf Unternehmensinvestitionen in Höhe von 30 % in den Jahren 2025 bis 2027, wurden bereits umgesetzt. Der Bundesrat hat zudem am 26. September planmäßig den Haushalt für 2025 passieren lassen. Den Haushalt für 2026 wird der Bundestag voraussichtlich fristgerecht Ende November verabschieden.

Daten zu deutschen Aufträgen deuten darauf hin, dass die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben bereits in gewissem Umfang angekommen sind. Seit Anfang 2024 sind die Großaufträge im verarbeitenden Gewerbe, zu denen auch größere Militärkäufe gehören, im Durchschnitt um 13 % pro Jahr angestiegen. Die stark schwankenden Aufträge für den öffentlichen Nichtwohnungsbau legten in den ersten sieben Monaten des Jahres 2025 um 7,9 % gegenüber dem Vorjahr zu. Ab Ende 2025 ist in diesem Sektor mit weiteren Aufträgen zu rechnen.

Mit der Reform der Schuldenbremse hat sich Deutschland den fiskalischen Spielraum verschafft, seine Verteidigungs- und Investitionsausgaben um 2,5 % des BIP gegenüber der Ausgangslage zu erhöhen. Wir rechnen damit, dass Deutschland seine Ausgaben in etwa gleich großen Tranchen von jeweils 0,5 Prozentpunkten des BIP über einen Zeitraum von fünf Jahren ab Ende 2025 erhöhen wird. Mehr als die Hälfte der zusätzlichen Ausgaben sind dabei für die Verteidigung vorgesehen. Die aktuellen Finanzpläne der Bundesregierung sehen zwar einen starken Ausgabensprung bereits im Jahr 2025 vor. Doch wird es wie üblich dauern, diese Pläne voll umzusetzen. Deshalb wird der Anstieg, wie von uns vorab prognostiziert, eher schrittweise erfolgen wird. Dies wird den Unternehmen zudem mehr Zeit geben, ihre Kapazitäten aufzubauen, die sie für die zusätzliche Nachfrage brauchen. Allerdings wird ein Teil der Mittel eher zu höheren Preisen als zu einer höheren Produktion führen. Zudem werden einige Verteidigungsausgaben zunächst für den Kauf von Waffen für die Ukraine in den USA benötigt wird. Deshalb rechnen wir damit, dass die zusätzlichen deutschen Ausgaben das reale BIP-Wachstum in den nächsten Jahren um etwa 0,3 Prozentpunkte steigern werden. Dieser Wert könnte auf 0,4 Prozentpunkte steigen, wenn sich die Kapazitätsengpässe im Inland verringern.

Der Wermutstropfen

Allerdings ist die Regierung etwas kreativer als erwartet im Umgang mit den zusätzlichen 500 Milliarden Euro, die für Infrastruktur- und andere nicht verteidigungsbezogene Investitionen vorgesehen sind. Sie nutzt den neugewonnen fiskalpolitischen Spielraum an einigen Stellen auch dazu dazu, Löcher im Kernhaushalt zu stopfen. Zuletzt haben uns viele Fragen zu den Ausgabenplänen des Bundes für die Verkehrsinfrastruktur erreicht. Laut dem Haushaltsentwurf für 2026 werden diese Ausgaben nach 33,4 Mrd. Euro im Jahr 2025 mit 33,7 Mrd. Euro praktisch stagnieren. Dies entspricht 0,75 % des BIP. Im Haushaltsentwurf für 2026 gleichen zusätzliche Verkehrsinvestitionen über den außerbudgetären Infrastruktur- und Klimafonds einen Rückgang dieser Ausgaben im Kernhaushalt im Vergleich zum Jahr 2025 aus. Das ist in der Tat etwas enttäuschend. Wir sollten dies jedoch im Kontext betrachten:

  • Der Bundestag kann die Zahl noch etwas erhöhen, bevor er den Haushalt 2026 verabschiedet, insbesondere für Straßeninvestitionen (derzeit 10,3 Mrd. Euro für 2026 nach 10,0 Mrd. Euro im Jahr 2025).
  • Die Stagnation der Bundesinvestitionen in den Verkehrssektor im Jahr 2026 erfolgt auf hohem Niveau und nach einem erheblichen Sprung in den beiden Vorjahren, ausgehend von nur 19,2 Mrd. Euro im Jahr 2023 (0,45 % des BIP).
  • Da der Bundesrat den Haushalt für 2025 erst am 26. September verabschiedet hat, werden die für 2025 vorgesehenen Infrastrukturinvestitionen in diesem Jahr wahrscheinlich nicht vollständig umgesetzt. Dies schafft Spielraum für weitere Ausgaben im Jahr 2026.
  • Dank der Reform der Schuldenbremse können die 16 Bundesländer jährlich rund 25 Milliarden Euro mehr ausgeben als msonst. Ein Teil davon wird für Landes- oder Kommunalstraßen sowie für Schulen und ähnliche Einrichtungen der regionalen Infrastruktur verwendet werden. Da die Ausschreibungen und die Vergabe der Aufträge einige Zeit in Anspruch nehmen werden, wird dieses Geld wahrscheinlich eher 2026 als 2025 seinen Weg in die Wirtschaft finden.
  • Die Bundesregierung überweist der Deutschen Bahn und anderen staatlichen Einrichtungen im Jahr 2025 17,3 Mrd. Euro und im Jahr 2026 8,4 Mrd. Euro. Diese Kapitaltransfers werden es ihnen ermöglichen, ihre Ausgaben danach deutlich zu erhöhen – wahrscheinlich bereits 2026 und noch stärker in den Jahren danach.
  • Die Verkehrsinfrastruktur macht weniger als ein Drittel der gesamten Investitionsausgaben des Bundes außerhalb des Verteidigungsbereichs aus.

Insgesamt erwarten wir daher, dass die tatsächlichen Infrastrukturausgaben 2026 gegenüber 2025 wahrscheinlich um weitere 5 bis 8 Mrd. Euro (0,1 bis 0,2 % des BIP) steigen werden. Mit etwas Glück – und schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren – könnten es sogar etwas mehr werden.

Zu beachten ist auch, dass sich Verschiebungen zwischen dem Kernhaushalt und den außerplanmäßigen Sonderfonds nicht auf die Gesamtnachfrage auswirken (das zusätzliche Geld wird ja weiterhin ausgegeben). Allerdings könnten sich die positiven Auswirkungen auf das Angebotspotenzial Deutschlands etwas verringern, wenn ein Teil der neuen Sondermittel für den staatlichen Konsum statt für zusätzliche Investitionen verwendet wird.

Der Trump-Faktor

Präsident Trump hat die meisten US-Einfuhren aus der EU mit Zöllen in Höhe von 15 Prozent belegt. Die Einfuhrabgaben und die Handelsunsicherheit schaden den USA, Europa und der Weltwirtschaft insgesamt. Da Trump die meisten anderen Länder jedoch mit noch höheren Zöllen belegt hat, hat sich die relative Wettbewerbsposition der EU-Unternehmen auf dem US-Markt vermutlich sogar leicht verbessert. Das begrenzt den Schaden für Europa. Die von Trump am 2. April verkündeten sehr hohen Zölle führten zu Turbulenzen am Anleihenmarkt. Daraufhin ruderte er zurück. Das stützt unsere Annahme, dass Trump letztlich Handelsabkommen abschließen und die Lage nicht permanent weiter eskalieren lassen will.

Einige Beobachter scheinen enttäuscht darüber zu sein, dass der Krieg in der Ukraine noch nicht beendet ist und Europa die billigen Energieeinfuhren aus Russland nicht wieder aufgenommen hat. Dieses Szenario erschien jedoch nie sehr wahrscheinlich. Erstens üben weder Trump noch Europa genügend Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus, damit er seine Absichten ändert und einem verlässlichen Waffenstillstand zustimmt. Zweitens würde Deutschland die Nord-Stream-Pipelines für billiges Erdgas aus Russland auch dann nicht wieder öffnen, wenn Putin seinen Krieg beenden würde. Die russische Militärmaschine mit zusätzlichen Einnahmen aus dem Verkauf von Pipelinegas an Europa zu füttern, wäre ein massives Eigentor für Deutschland. Es würde Deutschland (und viele seiner Nachbarn) zwingen, noch wesentlich mehr für die weitere Stärkung ihrer Verteidigung gegen eine mögliche russische Aggression auszugeben, als Deutschland durch die billigere Energieeinfuhren einsparen könnte.

Wachstumsaussichten

Trotz des erheblichen Gegenwinds durch Trumps unberechenbare Eskapaden und den Versuch Chinas, die globalen Märkte mit den Erzeugnissen seiner industriellen Überkapazitäten zu überschwemmen, haben sich die deutsche und die europäische Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet. Dazu trug im ersten Quartal ein Anstieg der Exporte in die USA bei, um den Trump-Zöllen zuvorzukommen. Im zweiten Quartal hat sich dies nur teilweise umgekehrt. Auch einige irische Besonderheiten haben das reale BIP der Eurozone angehoben. Eine noch größere Rolle für das BIP-Wachstum im ersten Halbjahr spielte jedoch der Anstieg des privaten Konsums um 1,4 % im Jahresvergleich in der Eurozone und um 1,3 % in Deutschland im ersten Halbjahr 2025. Die Wirtschaft hat sich als widerstandfähig erwiesen.

Leider werden die Unsicherheit im globalen Handel und der Gegenwind aus China das Wachstum in Deutschland und der Eurozone voraussichtlich länger belasten, als wir vor sieben Monaten erwartet hatten. Darüber hinaus dürfte die verschärfte politische Unsicherheit in Frankreich das dortige Wachstum etwas stärker bremsen als von uns prognostiziert.

Aus diesen Gründen haben wir unsere Wachstumsprognosen für die Jahre 2025 und 2026 seit März leicht nach unten korrigiert. Für das nächste Jahr erwarten wir nun ein geringeres Wachstum als noch vor sieben Monaten: 1,1 % für Deutschland sowie die Eurozone anstatt zuvor 1,3 % bzw. 1,5 %. Diese Abwärtskorrektur für 2026 wird jedoch fast vollständig durch eine Aufwärtskorrektur für das Wachstum im Jahr 2025 ausgeglichen: von 0,1 % auf 0,3% für Deutschland und von 1,0 % auf 1,3 % für die Eurozone. Das Zeitprofil hat sich zwar geändert, für 2026 rechnen wir jedoch weiterhin mit dem gleichen BIP-Niveau für Deutschland wie im März. Für das BIP der Eurozone gibt es nur eine geringfügige Netto-Abwärtskorrektur, die hauptsächlich auf die fiskalischen und politischen Fehltritte Frankreichs zurückzuführen ist. Für 2027 erwarten wir ein weiterhin über dem Trend liegendes Wachstum von 1,5 % für die Eurozone und 1,4 % für Deutschland. Auch wenn die Europhorie vor sieben Monaten, wie wir damals angemerkt hatten, vielleicht etwas übertrieben war, sehen wir derzeit keinen Grund, ernsthaft enttäuscht zu sein.

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt
Telefon +44 20 3207-7889